Solarzellen von morgen

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Der Chemiker Michael Grätzel erhält den Millennium-Preis, den “Nobelpreis für Ingenieure

Alle zwei Jahre setzt sich eine Jury in Finnland zusammen, um aus zahlreichen Nominierten den Forscher auszuwählen, dessen Erfindung der Menschheit am meisten genutzt hat. Der Glückliche erhält den Millennium–Technologiepreis, mit 800 000 Euro einer der höchst dotierten Preise weltweit. Dieses Jahr wurde der Deutsch-Schweizer Michael Grätzel ausgezeichnet. Die finnische Staatspräsidentin Tarja Halonen überreichte dem Chemiker am Mittwochabend in Helsinki die Trophäe: Einen spitzen Siliziumkristall.

Unpassender hätte der Preis kaum sein können. Immerhin bekommt Grätzel den „Nobelpreis für Ingenieure“ gerade dafür verliehen, dass er Silizium überflüssig gemacht hat – zumindest in Solarzellen.

Denn seine Technologie, oft als künstliche Photosynthese bezeichnet, kommt ohne das aufwendig herzustellende Halbmetall aus.

Grätzel hat die Farbstoffsolarzelle erfunden. Sie ist so eng mit dem Namen des Professors für Chemische Technologie verbunden, dass die meisten sie schlicht „Grätzel-Zelle“ nennen. Sie verspricht nicht nur billige, flexible Solarzellen, sondern auch Fenster und Möbel, die Strom generieren. Damit könnte sie eines Tages der Solarenergie endgültig zum Durchbruch verhelfen.

Dabei wurde Grätzel für seinen Weg zunächst belächelt. „Niemand hat an ihn geglaubt am Anfang. Das war einfach zu radikal“, sagt Peter Lund, der an der Aalto-Universität in Finnland Solarzellen erforscht. Grätzels Idee: Die Zellen zu verbessern, indem man der Natur abguckt, wie sie Licht in Energie umwandelt. „Mein Motto war: Wir machen es dem grünen Blatt nach“, sagt Grätzel. Eine grundsätzlich andere Herangehensweise als herkömmliche Solarzellen.

Diese bestehen vor allem aus Silizium. Trifft Licht auf den Halbleiter, so werden einzelne Atome angeregt und geben dann Elektronen ab. Die negativ geladenen Teilchen können in der Zelle aber nur in eine Richtung fließen, so dass sie sich auf einer Seite sammeln. Dadurch entsteht ein Gefälle. Verbindet man über einen äußeren Stromkreis nun die beiden Enden der Solarzelle, fließen die Elektronen entlang dieses Pfades auf die andere Seite zurück. So produziert die Zelle elektrischen Strom.

Das Silizium erfüllt also zwei Aufgaben: Es liefert die Elektronen und es ist auch das Medium, in dem die Elektronen weitergeleitet werden. „Das hat den Nachteil, dass man diese beiden Eigenschaften nicht einzeln optimieren kann“, erklärt Lund. Grätzel gelang es, die beiden Funktionen voneinander zu trennen, indem er die Natur nachahmte. Dort nimmt der grüne Blattfarbstoff Chlorophyll die Sonnenenergie auf, gibt die Elektronen dann aber ab. So auch bei Grätzels Farbstoffsolarzellen. Sie bestehen aus porösem Titandioxid, das mit einem Farbstoff überzogen ist. Der Farbstoff wird durch Sonnenlicht angeregt, und gibt dann Elektronen an das Titandioxid ab. Darin bewegen sie sich zur Elektrode.

Mit dem neuen Design kommen zahlreiche Vorteile: So können Grätzelzellen als einzige Solarzellen vollständig transparent gemacht werden, was sie etwa für Glasfassaden attraktiv macht. Je nachdem, welcher Farbstoff gewählt wird, haben sie eine unterschiedliche Färbung. Sie können aber auch komplett farblos sein, wenn sie mit einem Farbstoff hergestellt werden, der nur Licht im infraroten und im ultravioletten Bereich absorbiert. Damit werden stromerzeugende Fenster möglich.

Unter Standardbedingungen im Labor sind Grätzels Zellen immer noch weniger effizient als vergleichbare Siliziumsolarzellen. „Aber unter tatsächlichen Bedingungen wie Bewölkung schrumpft der Unterschied“, sagt Grätzel. Unter anderem, weil Grätzelzellen auch in diffusem Licht Energie erzeugen. Das liegt zum einen daran, dass bei durchsichtigen Solarzellen Licht von allen Seiten aufgenommen werden kann, sodass die Ausbeute höher ist. „Außerdem können wir durch die Auswahl des Farbstoffes entscheiden, welches Licht am besten absorbiert wird“, sagt Grätzel. So ist das Licht an einem wolkigen Tag in den blauen Bereich verschoben. Solarzellen, die einen entsprechenden Farbstoff benutzen, funktionieren dann besonders gut. Grätzelzellen könnten auch Innenräume erobern, als Möbelstücke, Lampen ohne Stecker oder energieproduzierende Wände.

Vor allem aber sind Grätzels Zellen viel billiger herzustellen als konventionelle Solarzellen. Denn sie benötigen kein Silizium – und dessen Herstellung ist der energiereichste Schritt bei der Produktion von Solarzellen. Der Halbleiter muss sonst in einem aufwendigen Verfahren mit mehreren Destillationsschritten aus Quartz gewonnen werden und eine Reinheit von 99,999 Prozent erreichen, um effizient in einer Solarzelle zu funktionieren. 2006 hatte die Industrie außerdem mit einer Siliziumknappheit zu kämpfen. Titandioxid, der Stoff, den Grätzel nutzt, ist dagegen einfach herzustellen und findet sich unter anderem in Zahnpasta, Kaugummis und Kosmetika.

Wie simpel seine Solarzellen aufgebaut sind, beweist Grätzel Studenten gerne, indem er sie einfache Zellen bauen lässt: aus leitendem Glas, gepressten Beeren, Titandioxid und einem Bleistift. Im Prinzip lassen sich die verschiedenen Schichten einfach auf ein Material drucken, eine billige Technik, die zum Beispiel auch für Entwicklungsländer sehr interessant sein könnte. Es ist der Preisvorteil, der dieser dritten Generation von Solarzellen zum Durchbruch verhelfen dürfte. „Am Ende geht es um die Kosten und Grätzelzellen sind sehr günstig“, sagt der finnische Solarzellforscher Lund.

Das war auch für die Technische Akademie Finnland das entscheidende Argument, Grätzel den Preis zu verleihen: „Begrenzt wird die Nutzung der Sonnenenergie seit jeher durch die damit verbundenen hohen Kosten“, sagt Ainomaija Haarla, Vorstandsvorsitzende der Stiftung. „Die Innovation von Grätzel wird voraussichtlich eine wichtige Rolle beim Einsatz regenerativer Energie und damit bei der Förderung einer nachhaltigen Entwicklung spielen.“

Tatsächlich fiel es Grätzel sehr schwer, seine Solarzellen Wirklichkeit werden zu lassen: „Man muss Menschen finden, die an die Technologie glauben und das Geld zum Investieren haben.“ Bereits 1992 ließ er seine Zelle patentieren. Aber erst jetzt scheint sein Traum wahr zu werden. Der ehemals belächelte Chemiker ist heute einer der zehn meist zitierten Chemiker der Welt. Seit dem vergangenen Jahr sind erste Produkte auf dem Markt.

In einer Fabrik in Cardiff in Wales werden Farbstoffsolarzellen hergestellt und es gibt bereits Rucksäcke zu kaufen, die damit ausgestattet sind. Damit lässt sich zum Beispiel ein Handy aufladen. Die Firma Dyesol hat außerdem mit dem Glashersteller Pilkington vereinbart, gemeinsam Solarzellen-Fenster zu entwickeln.

Grätzel, der 1944 in Sachsen geboren wurde, musste sich früh zwischen zwei Leidenschaften entscheiden: Musik und Wissenschaft. „Alle meine Freunde dachten, ich werde ein Pianist, aber ich fand es sicherer, Wissenschaftler zu werden“, erinnert er sich. Seine Ausbildung zum Chemiker erhielt Grätzel in Berlin. Er studierte an der Freien Universität, promovierte an der Technischen Universität und habilitierte sich dann an der Freien Universität. Erst danach ging er als Professor an die Technische Universität in Lausanne und nahm später die Schweizer Staatsbürgerschaft an. Er fühle sich Berlin nach wie vor verbunden, sagte Grätzel: „Auch ich habe noch einen Koffer in Berlin.“

Grätzel ist nicht der Einzige, der sich freuen kann. Denn das Konzept des Millenniumpreises ist es, alle Finalisten für eine ganze Woche nach Helsinki zu locken. Das ermöglicht es den Finnen, eine Woche voller Diskussionen, Vorträge und Treffen zu organisieren – und Spannung aufzubauen, wer den Preis am Ende gewinnt. Die Verlierer bekommen immerhin noch 115 000 Euro. In diesem Jahr war das zum einen der Computeringenieur Stephen Furber, der in den achtziger Jahren entscheidend dazu beitrug, einen äußerst effizienten Mikrochip zu entwickeln. Diese ARM-Mikroprozessoren finden sich heute in jedem vierten Elektrogerät, ob Digitalkamera oder Fernseher, iPod oder IPad. Außerdem war der britische Physiker Richard Friend nominiert, der unter anderem organischen Leuchtdioden, kurz Oleds, zum Durchbruch verholfen hat. Diese kleinen Leuchtelemente, aus denen heute etwa Millionen Handy-Displays bestehen, basieren auf Kunststoffen und sind die ersten Anwendungen aus dem neuen Feld der organischen Elektronik, das auch biegsame Bildschirme und hauchdünne Videotapeten verspricht.

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